Test
Models müssen perfekt sein, um Produkte in der Werbung gut zu vermarkten. Bei Senioren-Model Andrea Prechtel brachten ihre
Falten den Erfolg.
Von Melanie Ploch und Deborah Kölz
Klick. Ein ernster Blick. Klick. Die Haare sitzen. Klick. Jetzt ein breites Lächeln. Klick. Das Bild, das beim Wort Model entsteht: Junge Frauen, Anfang 20, kein Gramm zu viel, rundum straffe Haut. Auch Andrea Prechtel ist Model. Doch nicht so, wie man sich das vorstellt: Sie hat graue Haare und Falten im Gesicht. Die Brandenburgerin ist mit ihren 72 Jahren Senioren-Model.
Vor ein paar Jahren hat Prechtel jemanden kennengelernt, der modelt. „Da dachte ich mir, dass ich das eigentlich auch mal machen kann.“ In Zusammenarbeit mit einer Model-Agentur kamen die ersten Aufträge. Sie nimmt an vielen Castings teil, zum Beispiel für Aldi, die Europäische Union und Dr. Oetker. Einmal war sogar ein einflussreicher Kopf der deutschen Mode-Szene dabei: Guido Maria Kretschmer. „Den Rock hatten sie nicht mehr in meiner Größe; er war zu eng, und ich hatte Turnschuhe an. Es war ein einziger Flop. Guido bedankte sich und lächelte mich an.“ Aus dem Job wurde nichts.
Davon hat sie sich nicht verunsichern lassen; die 72-Jährige ist selbstbewusst. Das muss sie in ihrem Job auch sein. In Sekundenschnelle wechselt sie Stimmung und Pose. Sie spielt mit der Kamera, blinzelt ihr zu. Es ist ihr nicht peinlich, spontan lauthals zu lachen oder wütend zu werden. Mir ihren rot geschminkten Lippen, der Hornbrille und dem abgestimmten Outfit fällt die ehemalige Kunstlehrerin auf.
Senioren-Models wie Prechtel sind vor allem in der Werbung gefragt: „Das fängt bei der Sparkassenwerbung an bis hin zu Gesundheitsthemen, aber auch die Modebranche ist beteiligt“, sagt Jana Fritsch, die bei der Agentur „The Models“ für die Vermittlung zuständig ist. Besonders oft buchen die Kunden Senioren-Models, um Familienszenen darzustellen: „Da dürfen die Models auch mal graue Haare und Falten haben.“
Dabei würden die sogenannten „Best Ager“ in ihrer Kartei schon ab 35 Jahren beginnen. Der Grund: Die Kunden definieren selbst, was sie sich unter einem älteren Model vorstellen. Manche „Best Ager“-Models arbeiten hauptberuflich vor der Kamera. Mit guten Referenzen können sie es sich erlauben, hohe Gagen zu verlangen. Teilweise verdienen sie sogar mehr als junge Models, erklärt Fritsch.
Gute Gagen
Andrea Prechtel reist alle zwei bis drei Monate für Castings nach Berlin. „Ich warte momentan, dass das nächste kommt. Ich erlebe gerne neue Situationen und lerne neue Menschen kennen. Alle sind sehr liebevoll und freundlich. Ich komme mir dann fast immer wie eine Queen vor“, erzählt die 72-Jährige.
Mit dem Modeln angefangen hat sie jedoch aus einem anderen Grund: Andrea Prechtel wollte ihre kleine Rente aufbessern. „Ich hatte davon gar keine Ahnung, merkte jedoch, dass ich dafür ein gewisses Talent habe.“ Ein Talent, das sich auszahlt: Genaue Zahlen möchte sie nicht nennen, doch es sei „sehr viel Geld“.
Markt- und Werbepsychologe Robert Bidmon erklärt: „Das biologische Alter und das psychologische Alter sind etwas völlig Unterschiedliches.“ Eine Person könne 62 Jahre alt sein, sich aber psychologisch noch wie 40 fühlen. Das müsse man auch bei Senioren-Models berücksichtigen: Faustregel ist, dass die gebuchten Models zehn bis 15 Jahre jünger sind als das Zielgruppenalter. „Sogenannte alternde Menschen fühlen sich nicht automatisch alt. Vor allem mit Blick auf die heutige Generation der Senioren wird der prozentuale Teil der Bettlägerigen hemmungslos überschätzt“, sagt Bidmon.
Verlagerung der Zielgruppe
Der Markt- und Werbepsychologe betont, dass das Alter ein wichtiger Faktor beim Verkauf von Konsumgütern sei: „Das sind aber nicht nur Helfer bei Wehwehchen, also der Blasentee, das Inkontinenzmittel oder die Lupe für den Fernseher, wie die meisten vermuten.“ Sondern es gehe auch um Reisen, Versicherungen und Luxusgüter wie Autos. Denn Senioren seien nicht über einen Kamm zu scheren: „Es ist ja nicht so, dass die Leute 50 werden, urplötzlich zum alten Eisen gehören und eine einheitliche Zielgruppe an Alternden sind.“
Die ältere Generation ist jene, die sich finanziell etwas leisten kann: „Das Haus ist abbezahlt, die Kinder ausgezogen. Dann beginnen Senioren eine Weltreise oder gönnen sich anderes vom verdienten Geld.“ Lange galt in der Branche der „Jugendwahn“, nur junge Menschen seien abgebildet worden, so Bidmon. Aber die Senioren heute haben langjährige Konsumerfahrung, sind oft kritischer und schwieriger zu bewerben. Diese Zielgruppe muss also authentisch besetzt sein.
Prechtel hat kein Problem damit, im Mittelpunkt zu stehen: „Ich habe gar keine Angst vor der Kamera. Es macht irre viel Spaß.“ Die 72-Jährige schämt sich nicht für ihre Falten – im Gegenteil. Probleme damit habe sie „überhaupt gar keine“. Deshalb würde sie sich die Falten auch niemals wegmachen lassen, erzählt sie. Das verändere die Gesichtszüge zu sehr.
Die Erfahrung macht auch Agentur-Mitarbeiterin Fritsch: „Sie sollten natürlich sein. Es wird weniger das ‚geliftete‘ Gesicht gesucht, sondern authentische Personen, mit denen sich der Endkunde identifizieren können.“
Lifting ist out
Eigentlich ist Andrea Prechtel fast zehn Jahre zu alt für ihren Job, sagt sie. „Die Ausschreibungen gehen meistens nur bis 65.“ Warum wird sie dann trotzdem oft gebucht? „Ausstrahlung ist generell wichtiger als das Aussehen“, sagt Prechtel.
Offen und flexibel müssten die „Best Ager“-Models sein und Spaß vor der Kamera haben. Die Arbeit sei aber auch anspruchsvoll, sagt Fritsch: „Die Jobs gehen oft den ganzen Tag. Besonders für „Best Ager“ ist das anstrengender. Da muss das Model eine gewisse Härte mitbringen.“
Es gibt verschiedene Wege in die späte Modekarriere. Manche bewerben sich, nachdem sie in jungen Jahren bereits gemodelt haben. Andere wollen im Alter Neues ausprobieren.
An Ruhestand ist bei der 72-Jährigen nicht zu denken. Prechtel ist seit fast 40 Jahren verheiratet. Neben der Zeit mit ihren Kindern und Enkeln genießt sie auch ihre Jobs. Trotz „eines perfekten Lebens“ würde etwas fehlen, wenn sie nicht das Modeln hätte: „Momentan ist es ein absoluter Kick.“